Vor ein paar Tagen erst saß ein junger Mann vor meiner Pfarrhaustür und bat darum, bei uns übernachten zu können. Ich kannte ihn. Ab und an kam er schon in unser Kirchencafé. Ein anderes Mal bat er mich, ihm eine Bibel zu schenken.
Nun wollte er irgendwo schlafen bei uns, egal wo. Ich sah, dass er Tasche und Rucksack bei sich hatte und auch zu essen. Mehr sprechen wollte er erstmal nicht, einfach nur einen Ort für sich…
Nach einem kurzem Wortwechsel bot ich ihm unseren Jugendraum für eine Nacht an.
Interessanterweise hörte ich am anderen Morgen das Wort zum Tage hier im Radio. Da ging es am sogenannten „Tag der Unsichtbarkeit“ um Dinge und Menschen, die man nicht sieht und doch sieht…
Eine Freundin schrieb mir dazu: „Jeder fühlt sich manchmal unsichtbar, nicht wahrgenommen von den Mitmenschen. Irgendwie passend zu dem jungen Mann, vielleicht fühlt er sich auch so…“
Dann fiel mir sogleich eine ältere Dame aus der Gemeinde ein, die mit mir vor kurzer Zeit noch auf Gemeindereisen unterwegs war und nun langsam immer mehr Probleme mit den Augen hat, auf dem einen Auge hat sie 5% Sehkraft, auf dem anderen 50%. Und dennoch denke ich, sieht sie oft mehr als ich, mehr als viele andere, kann Manches anders, ja besser einschätzen und „sehen“…
Was sehen wir und wie mit welchen Augen? Wen nehmen wir in unserer Umgebung wahr und wen nicht…
Ich glaube, viel Einsamkeit in dieser Stadt entsteht genau deshalb. Es geht meist um Wahrnehmung oder andersherum, dass der oder die andere für mich unsichtbar bleibt. Jeder möchte wahrgenommen werden und nicht unsichtbar sein. Das wünschen sich viele und für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft hat das unschätzbaren Wert.
Ihr Mathias Laminski, leitender Pfarrer der Pfarrei St. Josef
Bild: Melanie Zils
In: Pfarrbriefservice.de