Ökumenische Bibelwoche 2022 – online!
Leider müssen wir coronabedingt die Ökumenische Bibelwoche in Altglienicke absagen. Aber Sie sollen nicht ersatzlos gestrichen sein. Vielmehr wollen wir Ihnen doch kleine Einblicke in das Buch Daniel geben – Anregungen zum eigenen Weiterlesen, Nachsinnen, Weiterdenken.
Den ersten Teil bildet das erste Kapitel des Buches Daniel, eingeführt durch Pfr. Wolfram Geiger aus Altglienicke. Der zweite Teil von Leszek Bartuzi wird am kommenden Montag hochgeladen.
Daniel – wie bewahre ich meine Identität in der Fremde?
Daniel? Noch heute ein schöner Name, aber wer war das eigentlich? Er gilt als Prophet und als eine Erzählfigur, deren Geschichte uns mehr mitgeben möchte, als nur einen schönen Namen. Wobei dieser Name auch schon viel aussagt: bestehend aus der semitischen Wortwurzel din („richten“, „Recht schaffen“) und der Gottesbezeichnung El bedeutet er so viel wie „Gott hat Recht geschafft“.
Als junger Mensch wurde die Erzählfigur Daniel durch das Leben im Exil entwurzelt. Er wurde aus seiner Heimat und aus seinem Lebensumfeld, aber nicht aus seinem Glauben und seiner Gottesbeziehung gerissen. Durchaus vergleichbar mit vielen Flüchtlingsschicksalen, die die Ältesten unter uns noch selbst erlebt und erlitten haben und von denen die meisten Jüngeren nur aus den Medien wissen. Dabei leben sie zu Hunderttausenden seit 2015 unter uns.
Die Erzählung ist vergleichbar mit einer Komposition. Nicht alle Teile, die sich auf eine bestimmte Zeit beziehen, sind auch wirklich in dieser Zeit geschrieben worden. Vielmehr sind Teile aus unterschiedlichen Zeiten zu einem Gesamtkunstwerk zusammengefügt worden, weshalb die Historizität eine untergeordnete Rolle spielen darf. Auf der Erzählung liegt das Augenmerk.
Daniels Ausbildung am Königshof führt zu einem Identitätsklärungsprozess zwischen den Kulturen, zu Wachstum an Wissen und Reifung im Glauben.
Das Danielbuch beginnt mit dem 1. Kapitel:
1 Im dritten Jahr der Herrschaft des Königs Jojakim von Juda zog Nebukadnezzar, der König von Babel, gegen Jerusalem und belagerte es. 2 Und der Herr gab König Jojakim von Juda sowie einen Teil der Geräte aus dem Haus Gottes in Nebukadnezzars Hand. Er verschleppte sie in das Land Schinar, in den Tempel seines Gottes, die Geräte aber brachte er in das Schatzhaus seines Gottes. 3 Dann befahl der König seinem Oberkämmerer Aschpenas, einige junge Israeliten an den Hof zu bringen, Söhne von königlicher Abkunft oder wenigstens aus vornehmer Familie; 4 die Knaben sollten frei von jedem Fehler sein, schön an Gestalt, in aller Weisheit unterrichtet und reich an Kenntnissen; sie sollten einsichtig und verständig sein und geeignet, im Palast des Königs Dienst zu tun; Aschpenas sollte sie auch in Schrift und Sprache der Chaldäer unterrichten. 5 Als tägliche Kost wies ihnen der König Speisen und Wein von der königlichen Tafel zu. Sie sollten drei Jahre lang ausgebildet werden und dann in den Dienst des Königs treten. 6 Unter ihnen waren aus dem Stamm Juda Daniel, Hananja, Mischaël und Asarja. 7 Der Oberkämmerer gab ihnen andere Namen: Daniel nannte er Beltschazzar, Hananja Schadrach, Mischaël Meschach und Asarja Abed-Nego. 8 Daniel fasste den Entschluss, sich nicht mit den Speisen und dem Wein der königlichen Tafel unrein zu machen, und er bat den Oberkämmerer darum, sich nicht unrein machen zu müssen. 9 Gott ließ ihn beim Oberkämmerer Wohlwollen und Nachsicht finden. 10 Der Oberkämmerer sagte aber zu Daniel: Ich fürchte meinen Herrn, den König, der eure Speisen und eure Getränke zugewiesen hat; er könnte finden, dass ihr schlechter ausseht als die anderen jungen Leute eures Alters; dann wäre durch eure Schuld mein Kopf beim König verwirkt. 11 Da sagte Daniel zu dem Aufseher, den der Oberkämmerer über Daniel, Hananja, Mischaël und Asarja eingesetzt hatte: 12 Versuch es doch einmal zehn Tage lang mit deinen Knechten: Man gebe uns Gemüse zu essen und Wasser zu trinken! 13 Dann vergleiche unser Aussehen mit dem der Knaben, die von den Speisen des Königs essen! Je nachdem, was du dann siehst, verfahr weiter mit deinen Knechten! 14 Der Aufseher nahm ihren Vorschlag an und versuchte es zehn Tage lang mit ihnen. 15 Am Ende der zehn Tage sahen sie besser und wohlgenährter aus als all die Knaben, die von den Speisen des Königs aßen. 16 Da nahm der Aufseher ihre Speisen und den Wein, den sie trinken sollten, weg und gab ihnen Gemüse. 17 Und Gott verlieh diesen vier Knaben Wissen und Einsicht in jede Schrift und Weisheit; Daniel verstand sich auf Visionen und Träume aller Art. 18 Und nach Ablauf der Tage, die der König bestimmt hatte, um sie vortreten zu lassen, da ließ sie der Oberkämmerer vor Nebukadnezzar treten. 19 Der König unterhielt sich mit ihnen und fand Daniel, Hananja, Mischaël und Asarja allen anderen überlegen. Sie traten also in den Dienst des Königs. 20 Sooft der König in Fragen, die Weisheit und Einsicht erfordern, ihren Rat einholte, fand er sie allen Zeichendeutern und Wahrsagern in seinem ganzen Reich zehnmal überlegen. 21 Daniel blieb im königlichen Dienst bis ins erste Jahr des Königs Kyrus.
Daniel wird uns vorgestellt als ein junger Mann mit sehr klaren Vorstellungen, er ist mutig und doch diplomatisch. Er wird als sympathischer und charismatischer Mensch mit großer Ausstrahlung auf andere beschrieben.
Seine Begabungen und Gottes Segen führen zu beachtlichen Erfolgen Daniels mit erheblichen Karriereschritten, von denen grade im Zusammenhang der Traumdeutungen später noch mehrfach die Rede ist. Diese Aufstiege führen aber später auch zu Anfeindungen mit lebensbedrohlichen Folgen. Es ist eine Zeit der Stärke, der Klarheit und Kraft, eine Zeit voller Gotteserfahrungen.
Als erstes jedoch verliert Daniel seine Heimat, seine Familie, als er an den Hof gebracht wird, als einer, der gebildet, schön, einsichtig und verständig erscheint. Dafür erhält er eine dreijährige Ausbildung am Königshof und wird versorgt mit allem, was zum Leben notwendig ist. Sozusagen Kost und Logie frei. Und was ist der Preis dafür? Er wird umbenannt – ein Akt der ihm seine Identität raubt. Der neue Name Beltessasar bedeutete nicht mehr „Gott schafft Recht“, sondern „Möge der Gott Bel den König beschützen“. Das kommt einer Gehirnwäsche gleich, denn neben seinem Namen soll ihm damit auch sein Glaube genommen und durch einen neuen ersetzt werden.
Zunächst wird uns hier Daniel vorgestellt als einer, der in der Fremde (am Hofe des babylonischen Königherrschers Nebukadnezar) dennoch seine Identität wahren kann.
Aber wie ist das in unserem eigenen Leben?
Haben Sie sich jemals vertrieben oder fremd gefühlt? In welcher Situation war das? Auf welche Weise wurde Ihre Identität beeinflusst? Wie hat sich das auf Ihr Selbstwertgefühl ausgewirkt?
Und nicht zuletzt: Wie fühlen sich Menschen, die um ihres Lebens willen hierher nach Deutschland geflohen sind? Auf welche Weise wird deren Identität beeinflusst? Wer um sein Leben fürchtet, flieht nicht, weil er in Europa oder Deutschland leben will, sondern weil er überleben will. Es spielt keine Rolle, wo. Und doch denken viele, dass die Flüchtlinge kein Recht dazu haben. Aber wie kann man nein sagen, wenn man jemanden in Lebensgefahr helfen kann?
Diese Fragen sind nicht leicht, die Antworten vielleicht genauso wenig.
Aber der Auftakt des Danielbuches führt uns ein Schicksal eines Menschen vor Auge, bei dem die Frage nach der Wahrung der eigenen Identität auf dem Spiel steht.