Wohnst Du noch oder dienst Du schon?
Auch an diesem Sonntag wird der Gottesdienst nur „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ stattfinden können. Wer nun also die Heilige Messe zu besuchen wünscht, wird zumindest in Treptow-Köpenick vor verschlossenen Türen stehen. Am Gottesdienst teilzunehmen, live und in Farbe, vor Ort in einer der Kirchen, bleibt zunächst verwehrt.
Mir bleibt der Gottesdienst verwehrt. Ein solcher Satz ist durchaus tückisch. Allein das Wort „Gottesdienst“ lässt eine gewisse Zweideutigkeit zu. Schließlich geht aus der Wortzusammensetzung nicht eindeutig hervor, wer denn wem da eigentlich dient. Handelt es sich um einen Dienst Gottes, sprich ein Dienst des Schöpfers an den Menschen und der Welt oder ist es genau umgekehrt, sodass Menschen sich Zeit nehmen, ihrem Gott zu dienen? Beides ist denkbar. Beides ist durchaus sinnvoll. Beides lässt allerdings auch Fragen offen.
Oft wird Gott in Gebeten und liturgischen Texten „allmächtig“ genannt. Zurecht, finde ich, denn diese Welt zu erschaffen, aus dem Nichts, diese wunderschöne Natur, diese vielfältigen Lebewesen, all die Farben, Formen, Musik und Charaktere sind in meinen Augen schon ein Hinweis auf Gottes große Kreativität, Unbegreiflichkeit und natürlich auch Macht. Allmächtig scheint mir eine passende Vokabel zu sein. Doch wenn Gott wirklich allmächtig ist, die Welt und den Menschen erschaffen hat, wozu benötigt er dann einen Dienst von mir? Was habe ich überhaupt anzubieten? Gibt es tatsächlich etwas, dass Gott von mir benötigt? Was könnte ich vollbringen, das Gott selbst nicht deutlich besser hinbekäme?
Ich gebe gerne zu: Auf diese Fragen weiß ich keine Antwort. Mit einem anderen Gedanken komme ich dem allerdings ein wenig auf die Spur. Das Buch Genesis bezeichnet uns Menschen als Abbild Gottes. Jeder einzelne Mensch ist ein Abbild von Gott. Jeder Mensch, den ich geplant oder zufällig treffe, der mich grüßt oder der mich ignoriert, ist quasi ein Stellvertreter oder eine Stellvertreterin des Schöpfers dieser Welt. Mit diesem Hintergedanken scheint mir eine große Verantwortung einherzugehen. Denn – seien wir mal ehrlich – ich behandle nicht jeden, der mir so im Alltag über den Weg läuft, wie einen Stellvertreter Gottes. Gleichzeitig wird mir dadurch umso mehr bewusst: Die Nächstenliebe, sprich der Dienst an Menschen, die mir nahe stehen, ist ein Gottesdienst. Ein solcher Gottesdienst ist freilich auch mit geschlossenen Kirchen möglich. Gott zu dienen, indem ich seinem Abbild, sprich einem Menschen, den ich konkret vor mir zu stehen habe, ist nahezu überall und ständig möglich. Am kommenden Sonntag ist dafür jedenfalls ein guter Zeitpunkt und natürlich nicht nur dann. Übrigens, der hinduistische Gruß „Namasté“ bedeutet: „Ich grüße das Göttliche in Dir!“ Ein passender Gruß, vor diesem Hintergrund und gleichzeitig kommt er ganz ohne Händedruck aus. Es reicht eine respektvolle Verneigung.
Tatsächlich bleibt noch die zweite Möglichkeit. Ist ein Gottesdienst vielleicht ein Zeit, in der Gott uns Menschen dient? Biblisch scheint es durchaus sinnvoll, schließlich ist das Evangelium eine Ansammlung von Beispielen, in denen genau dies geschieht. Gott wurde Mensch und als solcher, als Jesus von Nazareth, lag kaum etwas ferner, als dass er sich bedienen ließe. Im Gegenteil: Jesus diente tatsächlich Menschen, denen er begnete. Die Fußwaschung, verschiedene Heilungen, die Solidarität mit Ausgestoßenen – Sie alle kennen weitaus mehr Beispiele, als mir in diesem Moment einfallen möchten. Seine Jünger und viele der Anhänger*innen Jesu nennen ihn dennoch „Meister“ und verbinden damit sicher eine Sehnsucht nach ihm als Führungsfigur, als König und Herrscher. Doch letztlich geht er einen umgekehrten Weg, wendet sich den Schwächsten zu, macht sich verletzbar und auf diese Weise, solidarisch mit den größten Verlierern.
Als Auferstandener wird er sich nun mit Sicherheit nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Nein, wenn Jesus tatsächlich lebt, woran ich fest glaube, dann führt er seinen Dienst fort. Das wird er, da bin ich fest überzeugt, auch am kommenden Wochenende tun, am kommenden Sonntag und weit darüber hinaus. Verschlossene Kirchentüren werden dies nicht verhindern können. Gott sei Dank!
Seien Sie gegrüßt und gesegnet! Namasté!
Ihr Stephan Napieralski
Gemeindereferent