Durch mehrere Texte der Evangelien, so auch durch den des heutigen Tages (Mt 5, 17-19), begleitet uns die Frage, wie es Christus mit dem Gesetz hält. Im heutigen erklärt er, dass auch das kleinste Gesetz zu befolgen ist. Eine Aussage aus seinem Munde, die wahrscheinlich nicht nur mich irritiert, sondern Offensichtlich auch die Jünger der heutigen Erzählung. Er stellt nämlich klar, dass er nicht gekommen ist, das Gesetz aufzuheben. Genau so haben wir aber offensichtlich auch die Jünger ihn aber erlebt, oder genauer gesagt zumindest diesen Eindruck gewonnen. Das strenge Verbot jeglicher Betätigung am Sabbat, hebt er eigenmächtig auf, indem er selbst am Sabbat kranke heilt und seinen hungrigen Jüngern gestattet, auf den Feldern Früchte zu pflücken. Im heutigen Evangelium erklärt er dass er das Gesetz nicht aufhebt. Buchstäblich befolgt er es allerdings auch nicht. Er erfüllt es, so erklärt er im heutigen Evangelium, allerdings nur rein theoretisch. Wie also erfüllt er es konkret? Bleiben wir beim Beispiel und fragen: Wie erfüllt er den Sabbat? Seine Antwort:
„Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat.“
(Mk 2, 27b)
Mit dieser Antwort gibt er uns auch einen Maßstab an die Hand, wann Gesetze überhaupt rechtmäßig sind.
Gesetze und vor allem ihre Anwendung und Auslegung, müssen sich vom Heil der Menschen herleiten und auf das Heil der Menschen hinwirken. Nur dann ist das Gesetz überhaupt rechtmäßig. Das meint Christus mit der Erfüllung des Gesetzes. Das also muss Erfüllung des Gesetzes für uns Christen heißen.
Es kann für uns Christen folglich kein unhinterfragtes, einfach nur buchstäblich befolgtes Gesetz geben. Dies gilt auch für Autoritäten, deren Aufgabe Anwendung, Auslegung und Durchsetzung von Gesetzen ist. Wir blicken dieser Tage mit Entsetzen und Empörung auf den Missbrauch von Autorität, wenn ein unschuldiger ausgerechnet durch die Hand von Polizeibeamten zu Tode kommt, unter Umständen, die für jeden Erkennbar durch nichts zu rechtfertigen sind. Ausgerechnet, weil in unseren freiheitlich verfassten Gemeinwesen die Aufgabe von Polizeibeamten darin besteht, unsere Rechte zu schützen. Dazu, aber auch nur dazu, darf unter genau geregelten Bedingungen erforderlichenfalls sogar Gewalt angewendet werden. Niemals kann ein solches Amt ein Freibrief für die Verletzung von Rechten sein. Die Vollmachten eines Polizeibeamten sind dazu da unsere Rechte zu schützen, sie sind kein Gesetz das für sich selbst steht, das buchstäblich und unhinterfragt zu befolgen ist. Ich sehe aber auch mit einem ähnlichen Entsetzen, was beim totalen Ausfall einer jeden Rechtsordnung passiert, wenn diese zwar theoretisch besteht, aber im Ernstfall von niemandem verteidigt wird, was leider die gegenwärtige Situation vieler amerikanischer Städte beschreibt. Die Lösung kann also auch nicht sein, Gesetze einfach aufzuheben, in diesem Falle jegliche Staatsgewalt, also die Aufgabe, die Rechte von Menschen gegen diejenigen zu verteidigen, die von sich aus keine Rechte anderer respektieren, einfach zu beseitigen. Der Schlüssel liegt auch in dieser für uns aktuellen Frage darin, zwischen dem buchstäblichen, unhinterfragten Befolgen und der totalen Gleichgültigkeit, das Gesetz zu erfüllen. Die Gesetze eines freiheitlichen Landes finden ihre Erfüllung darin, die je eigenen, individuellen und unveräußerlichen Rechte und Freiheiten eines jeden Menschen zu wahren und zu schützen. Von diesem Ziel leitet sich alle Staatsgewalt her und auf dieses Ziel muss alle Staatsgewalt hinwirken. Ein Ziel das wir Christen teilen können und teilen müssen. Historisch lässt sich sogar behaupten, dass christliche Gedanken, neben anderen, der Ursprung jener freiheitlichen Ideen sind. Gesetze die vor diesem Maßstab rechtmäßig sind, sind wir aufgefordert zu erfüllen und ihre Erfüllung einzufordern. An der Erfüllung rechtmäßiger Gesetze müssen wir alle Autoritäten messen und prüfen, aber auch unser eigenes Handeln ausrichten.
Ihr Daniel Tinten, Priesteramtskandidat,
derzeit für ein Jahr zum Pastoralpraktikum in der Pfarrei St. Josef Treptow-Köpenick