Blättchen im Schnabel der Taube | Geistlicher Impuls | 16.02.2022

Blättchen im Schnabel der Taube | Geistlicher Impuls | 16.02.2022

Liebe Gemeinde, 

die Lesung des heutigen Tages ist ein Teil aus der Arche-Noah-Erzählung. Nach der Sintflut sendet Noah eine Taube aus, um festzustellen, ob sich das Wasser zurückgezogen hat. Die Taube kam kurze Zeit später wieder zur Arche zurück – die Umgebung war noch vollständig unter Wasser. Nach einer Woche sendet Noah sie erneut hinaus, um ihm Auskunft zu geben. Wieder kommt sie schon bald zurück, doch hat sie einen Zweig im Schnabel. Die Erde ist zwar noch überflutet, aber hier und da spitzen wohl schon erste Baumwipfel aus den Wassermassen. Die Taube konnte Noah durch ihr Mitbringsel erahnen lassen, dass sich draußen was tut. Als Noah sie weitere sieben Tage später erneut auf Erkundungstour schickt, kehrt sie nicht zurück: Die Erde ist trocken, die Flut ist vorbei. 

Ich finde in dieser Bibelstelle die innere Haltung des Noah eindrucksvoll. Er gibt die Hoffnung nicht auf und lässt sein Vertrauen auf eine bessere Zukunft nicht erschüttern, obwohl er nicht sofort Besserung sieht. Die Bibel erzählt nicht, dass er sich nach der raschen Rückkehr der Taube beim ersten Flug resigniert klagend zurückgezogen hätte. Nein, er hat gewartet, sein inneres Vertrauen auf Gott und auf Besserung der Umstände weiter kultiviert und es nochmal versucht. Dann auch beim zweiten Versuch: Ein Rückschlag. Doch Noah glaubt weiter, hofft weiter, gibt nicht auf, versucht es erneut. Und siehe da: Das Land ist wieder bewohnbar, ein neuer Lebensabschnitt beginnt. 

Wie oft bin ich resigniert, wenn Dinge nicht so klappen, wie ich sie geplant oder mit gewünscht hatte. Wie schnell schießt einem in den Kopf: Hat eben nicht sollen sein. Und wie schwer ist es, sich nach einer Zurückweisung erneut aufzumachen und es noch einmal zu versuchen… Noah zeigt in dieser Geschichte ein sehr hohes Maß an Resilienz und verfügt ein sehr stabiles inneres Mindset, wie man heute vielleicht sagen würde. Er lässt sich nicht entmutigen, sondern bleibt dran. 

Der evangelische Theologe Helmut Thielicke schreibt über diese Stelle wunderschön: „,Es werde‘ – das ist das wirkliche Thema dieser Geschichte. Denn auch dann, wenn von Katastrophen und Untergängen die Rede ist, kann Gott nie ein Gott des Endes sein. Er gewährt immer Anfänge. Gott ist positiv. Seine Barmherzigkeit ist alle Morgen neu (vgl. Klgl 3,23). Man muss es nur sehen lernen […]. So kommt im Leben alles darauf an, diesen einen Blickpunkt festzuhalten, dass Gott etwas mit Noach, mit dir und mir vorhat, ganz gleich, in welches Kuvert von Schicksalen dieser Lebensplan auch hineingefaltet sein mag, ob in Sintfluten und Rückschläge oder in berufliche Erfolge und Liebesglück“. 

Sich diesen Blick zu bewahren ist nicht leicht. Aber ich wünsche Ihnen für diese Woche, dass es klappt und Sie das ein oder andere Blättchen im Schnabel der Taube sehen. 

Herzlich, Ihre Magdalena Kiess


Bild: Pia Schüttlohr
In: Pfarrbriefservice.de

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