Am Sonntag, den 12.11.2017, predigte Pfarrer Alexander Höner, wohnhaft in Berlin-Friedrichshagen in St. Josef. Hier seine Predigt:
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, sie seien jetzt mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
„sag mal, willst Du nicht bei uns am Sonntag nach dem Reformationsjubiläum predigen?“ Ich machte große Augen. Denn Sie kennen ihn ja selber, Ihren Pfarrer Mathias Laminski, man kann sich nicht immer ganz sicher sein, ob er etwas wirklich so meint oder ob er einen gerade mit einem Witz ordentlich verschaukeln will. „Meinst Du das ernst?!“ erkundigte ich mich vorsichtshalber. „Na klar, warum nicht!“ Und nun stehe ich hier – am Sonntag nach dem 500 jährigen Jubiläum der Reformation. „Welcher Text ist denn dran?“ „Wenn Du schon kommst, dann wollen wir schon etwas über Martin Luther hören!“ So unsere Absprache.
Als ich meine dreieinhalbjährige Tochter Ida letzte Woche am Abend von Allerheiligen zu Bett brachte, bedankten wir uns noch gemeinsam bei Gott für den schönen Tag und was wir erlebt hatten. Nach einer kurzen Pause fügte Ida dann noch inbrünstig hinzu: „Und wir beten für Martin Luther!“ Da machte ich mindestens genauso große Augen wie bei der Anfrage von Mathias Laminski. Mir wurde klar, dass wir in der vergangenen Zeit vielleicht ein bisschen zu viel über Martin Luther am Abendbrotstisch geredet hatten. Er war in diesem Jahr wirklich auf allen Kanälen präsent. Selbst eine kostenlose Sonderausgabe der BILD-Zeitung gab es – vielleicht hatten Sie ja auch ein Exemplar in Ihrem Briefkasten. Auf der Titelseite stand: „Deutschlands erster Popstar. Er veränderte die Welt, liebte die Frauen, mochte Wein und Gesang.“ Mehr muss man doch gar nicht sagen, oder? Ich spüre, dass sich eine gewisse Luther-Übersättigung eingestellt hat – besonders bei uns Protestanten.
Deshalb predige ich nicht über Martin Luther. Aber ich bleibe reformatorisch und frage wie Luther: Was hält uns gefangen? Was macht uns Angst? Paulus sagte mal (1Kor 6): Alles ist uns erlaubt – wirklich alles! – mit zwei Einschränkungen: Es muss dem Guten dienen und es darf uns nicht gefangen nehmen. Das hat Luther aufgegriffen und für seine Zeit übersetzt. Das möchte ich auch versuchen. Ich predige heute über uns, uns Christen und nenne fünf reformatorische Wünsche an unsere Kirche. Erst wollte ich ja 95 Wünsche formulieren – aber das erspare ich Ihnen. Also: Fünf Wünsche an uns Christen und unsere Kirche.
Und der erste Wunsch ist schon gleich in diesem Vorhaben enthalten. Ich sage nicht: Ich predige über uns Protestanten und Katholiken. Ich sage: Ich predige über uns Christen. Denn ich glaube, dass wir in einer Zeit leben, in der wir uns diese Spaltung nicht mehr erlauben können. Ich will damit keine Gleichmacherei betreiben. Unsere Traditionen haben Unterschiede, die sind nicht einfach so unter den Teppich zu kehren und nicht klein zu reden. Aber es gibt nur einen Jesus Christus, der uns alle eint. Und dass wir uns darauf besinnen und ihn gemeinsam bekennen, das wünsche ich mir.
Ich predige nicht über Martin Luther. Er predigt selber, und zwar mit seinem Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ – praktisch die Hymne der Reformation. Wir singen die erste Strophe.
„Ein feste Burg“ – 1. Strophe: Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen. Er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen. Der alt böse Feind mit Ernst er’s jetzt meint, groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist, auf Erd ist nicht seinsgleichen.
Lasst uns gemeinsam bekennen, was uns im Leben und im Sterben trägt, was uns an Jesus Christus und seinem Leben fasziniert, warum wir ihm nachfolgen und unser Tun und Denken nach ihm ausrichten. Das war mein erster Wunsch. Mein zweiter ist: Lasst uns das wieder mutiger tun! Mutiger und vor allem selbstverständlicher unseren Glauben an Jesus Christus bekennen.
Neulich war ich bei einer Freundin zum 50. Geburtstag eingeladen. Es war ein interessanter Kreis, sehr gemischt. Das Geburtstagskind ergriff das Wort: „Ihr Lieben, schön, dass Ihr da seid. Auf Euren Plätzen findet Ihr Eure Namenskärtchen,und auf deren Rückseite findet Ihr je einen Spruch, den ich Euch mitgeben möchte, weil ich denke, dass der zu Euch passt.“ Neugierig drehe ich meine Namenskarte um und entdecke einen Bibelspruch. Ich vermute, dass hat die Freundin gemacht, weil ich Pfarrer bin. Ich schaue neugierig rüber zu meinem Tischnachbarn und entdecke auch einen Bibelspruch. Alle Gäste haben einen Bibelspruch geschenkt bekommen, ganz selbstverständlich. Und daraus entstehen wunderbare tiefgründige Tischgespräche. Lasst uns mutiger und vor allem selbstverständlicher unseren Glauben leben!
„Ein feste Burg“ – 2. Strophe: Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren; es streit’ für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren. Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott, das Feld muss er behalten.
Ich lese einen Artikel aus dem Spiegel-Magazin von vergangener Woche: „Ein Fußgänger ist auf einer Hauptstraße in Rheinland-Pfalz angefahren worden, und niemand hat sich um ihn gekümmert. Der Autofahrer sei nach dem Unfall in Ingelheim bei Mainz weitergefahren, teilte die Polizei mit. Bei dem Wagen handele es sich um einen weißen Porsche Carrera. Der 28 Jahre alte Fußgänger erlitt eine Kopfverletzung und lag auf dem Gehweg. Er bat mehrere vorbeilaufende Fußgänger um Hilfe. Doch statt zu helfen, seien sie einfach weitergegangen. Dem Verletzten sei es schließlich selbst gelungen, mit seinem Handy Hilfe zu alarmieren. (…) Im vergangenen Jahr hatte ein Fall für Aufsehen gesorgt, bei dem ein Rentner in einer Bankfiliale zusammengebrochen war. Statt zu helfen, hatten andere Bankkunden den 82-Jährigen ignoriert. Der Mann starb wenig später im Krankenhaus. Die Bankkunden, die ihm nicht geholfen hatten, wurden zu Geldstrafen verurteilt.“ Zitat Ende.
Ich habe überlegt, ob ich den weißen Porsche Carrera in dieser Geschichte streichen sollte, denn er macht es einfacher, sich davon zu distanzieren: „Na, typisch, Porsche-Fahrer, alle rücksichtslos!“ Trotz des Klischees habe ich den Porsche Carrera nicht gestrichen, weil er für mich eine bestimmte Überschätzung des Menschen und seiner Fähigkeiten ausdrückt. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin selber mal den Porsche eines Freundes gefahren, es war ein tolles Erlebnis, aber er steht auch für ein „Besser, schneller, weiter, höher“ und vor allem für ein rücksichtsloseres Verhalten. Dramatisch ist nicht nur das Verhalten des Fahrers, sondern das Weggucken der Passanten. Da liegt einer und braucht Hilfe und sie gehen weiter. Ich hielt den Barmherzigen Samariter aus der Bibel immer für leicht übertrieben. Aber genauso geschieht es auch heute. Deshalb ist mein dritter Wunsch an uns alle: Wir brauchen mehr Anstand! Und wir Christen haben ein gutes Regelwerk dafür. Lasst uns darin Vorbilder sein, denn viele Menschen suchen gerade nach Vorbildern und finden sie nicht oder nur in zweifelhaften Richtungen. Wir brauchen mehr Anstand!
„Ein feste Burg“ – 3. Strophe: Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen. Der Fürst dieser Welt, wie sau’r er sich stellt, tut er uns doch nicht; das macht, er ist gericht’: ein Wörtlein kann ihn fällen.
„Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen.“ Meine zehnjährige Tochter Anna und ihre Freundin Lovisa haben diese Zeilen auswendig gelernt und statt „Süßes oder Saures“ am Halloween-Abend den Leuten an ihrer Haustür aufgesagt. „Na, endlich mal etwas Gescheites!“ war eine häufige Reaktion. Es ist die inhaltliche Bestimmung und kluge Verknüpfung zweier Traditionen: Reformationsfest und All Hallows Eve. Mein vierter Wunsch: Lasst uns besonnen und klug sein. Lasst uns mehr auf Inhalte achten als auf bloße Oberflächlichkeiten.
„Ein feste Burg“ – 4. Strophe: Das Wort sie sollen lassen stahn und kein’ Dank dazu haben; er ist bei uns wohl auf dem Plan mit seinem Geist und Gaben. Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib: lass fahren dahin, sie haben’s kein’ Gewinn, das Reich muss uns doch bleiben.
Wir sind nur noch neun Prozent evangelische Christen in unserem Kirchenkreis Lichtenberg-Oberspree. Unser Superintendent Hans-Georg Furian hat das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD beauftragt, bei uns eine Umfrage unter Atheisten zu machen, ob ihnen etwas fehle, wenn sie über den Sinn ihres Lebens nachdenken. Das Ergebnis: Der Mehrheit fehlt nichts und sie sind glücklich, so wie sie leben. Diese Erkenntnis hat einige betrübt, weil sie gehofft hatten, dass die, die nicht an Gott glauben, irgendwie eine Lücke in ihrem Dasein fühlen und wir als Christen sie darauf ansprechen und diese Lücke füllen könnten. Nein, Atheisten sind mehrheitlich glücklich. Das sollten wir respektieren und ernst nehmen und sie gleichberechtigt in unsere ökumenische Gemeinschaft aufnehmen. Das meine ich wirklich so. Was mir an dieser Sache aber noch viel wichtiger ist, ist Folgendes: In den vergangenen Monaten gab es eine zweite Umfrage, und zwar dieses Mal unter Kirchenmitgliedern. Diese Befragung musste fast abgebrochen werden, weil zu wenige Christen dazu bereit waren. Sie hatten Angst, dass sie betrogen werden und riefen scharenweise im Kirchenbüro an, ob es so eine Befragung von Seiten der Kirche wirklich gibt.
Ich finde, diese Sache sagt mehr als die Umfrage selber. „Kommt her, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Wir haben Jesus da falsch verstanden. Unsere Gemeinschaft soll nicht mühselig und beladen sein, sie soll – wenn sie Jesu Botschaft hört – erquickt in die Welt hinaus gehen. Deshalb mein fünfter und letzter Wunsch: Die Angst spielt nur dem Teufel zu. Lasst uns eine Gemeinschaft voller Vertrauen und Zuversicht sein. Und das müssen die anderen Menschen auch an uns und unserem Leben sehen können. Fünf Wünsche: Christus spürbar in unserer Mitte, selbstverständlich von unserem Glauben reden, anständig sein, klug und nicht oberflächlich handeln, keine Angst haben. Das wünsche ich uns. Amen.